Glycylcycline

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Glycylcycline sind eine neue Antibiotika-Gruppe, die sich von den Tetracyclinen abgeleitetet und sich die Einführung eines Glycylcyclinrestes (N-Alkyl-Glycylamido-Gruppe) von ihnen unterscheidet.
Tigecyclin ist das erste Antibiotikum aus dieser neuen Substanzklasse. In den USA wird es seit 2005 in der parenteralen Form zur Behandlung komplizierter Infektionen der Haut, des Weichgewebes und des Abdomens als Monotherapeutikum eingesetzt. In Deutschland ist es seit dem Frühjahr 2006 im Handel. In den präklinischen Untersuchungen wurde es als GAR-936 geführt.

TigecyclinTigecylin ist strukturverwandt mit Minocyclin. Der tetrazyklische Kohlenstoffring ist wesentlich für die antibakterielle Aktivität. Die Einführung einer 9-t-butylglycylamido-Gruppe (Glycylclinrest)) an Position 9 des D Ringes ist maßgeblich für die Unemp-findlichkeit der Substanz gegenüber häufigen, bei Tetacyclinen auftretenden Resis-tenzmechanismen.
Die Substanz zeichnet sich daher durch ein sehr breites Wirkspektrum aus. Im Gegensatz zu den bislang bewährten Präparaten ist Tigecyclin bei einer Vielzahl multi-resistenter Erreger in vitro und in vivo wirksam. Nach der Einteilung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie gilt Tigecyclin als Schrittinnovation und hat so-mit einen hohen Stellenwert in der Behandlung von Problemkeimen auf Intensivstationen.

Verfügbarkeit und Haltbarkeit

Tigecyclin ist als Trockensubstanz in der Stärke von 50 mg/Vial auf dem Markt. Zur intravenösen Applikation ist nach Rekonstitution in 50 ml physiologischer Kochsalz-Lösung oder 5 %-iger Glukose-Lösung eine anschließende Verdünnung notwendig. Die Trockensubstanz kann bei Raumtemperatur gelagert werden, die gebrauchsfertige Lösung ist über 6 Stunden bei Raumtemperatur bzw. 24 Stunden unter Kühlung stabil. Sie zeigt eine gelbe bis orangerote Färbung.
Bei Gabe über ein Y-Stück ist Tigecyclin kompatibel mit Lösungen von Kaliumchlorid, Ranitidin, Theophyllin, Do-pamin, Dobutamin und Lidocain. Es ist inkompatibel mit Amphotericin B, Chlorpromazin, Methylprednsiolon oder Voriconazol.

Dosierung

Die übliche Dosierung beträgt 50 mg alle 12 Stunden nach einer Initialdosis von 100 mg. Die Applikation erfolgt als Infusion über 30 bis 60 Minuten. Die Dosierung ist un-abhängig vom Alter und m Geschlecht
Eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz, während einer Hämodialyse oder moderater Leberinsuffizienz ist nicht erforderlich. Bei Patienten mit einer schweren Le-berfunktionsstörungen (Child Pugh C) sollte die Dosierung auf 25 mg alle 12 Stunden reduziert werden. Die Initialdosis von 100 mg bleibt unverändert.
Empfehlungen für eine Dosierung bei Kindern liegen nicht vor. Patienten mit einem Alter < 18 Jahren sollten daher nicht behandelt werden. Es ist zu erwarten, dass wegen der Strukturverwandtschaft mit den Tetracyclinen auch zukünftig der Einsatz in der Pädiatrie bei Kindern unter 8 Jahren, in der Schwangerschaft und der Stillzeit wegen potenzieller Verfärbungen des Zahnschmelzes kontraindiziert ist.

Pharmakokinetik

Tigecylin zeigt eine lineare und Dosis unabhängige Pharmakokinetik im Bereich der Dosierungen von 12,5 bis 300 mg. Nach der Gabe einer Einzeldosis von 100 mg wurde nach einer 30 minütigen Infusion ein Serumspiegel von 1,45 µg/ml und nach Mehrfachgabe einer Dosis von 50 mg alle 12 Stunden (initial 100 mg) ein Serum-spiegel von 0,63 µg/ml gemessen. Die Eiweißbindung lag bei Serumkonzentrationen von 0,1 µg/ml bis 1 µg/ml zwischen 71 bis 89 %. Die Substanz wird daher durch Nierenersatzverfahren nur unwesentlich aus dem Blutkreislauf entfernt werden können.

Die Verteilung ins Gewebe wurde bei einer kleineren Anzahl an Probanden untersucht ist. Die dabei ermittelten Daten weisen auf eine sehr gute Gewebegängigkeit hin. So übersteigen die Konzentrationen in der Lunge (ca. 9-fach), dem Kolon (ca. 2-fach) und der Gallenblase (ca. ca. 38-fach) deutlich die Werte der korrespondierenden Serumspiegel. In der Synovialflüssigkeit (ca. 0,6-fach) und in den Knochen (ca. 0,4-fach) liegen die Konzentrationen unterhalb der korrespondierenden Serum-spiegel. Nach induzierter Infektion konnte im Tierversuch eine hohe Konzentration im Knochen nachgewiesen werden. Nach Cantharidin-induzierter Blasenbildung bei 10 Probanden trat Tigecylin zu ca. 75 % in die Blasenflüssigkeit über. Die Liquorgängigkeit bei nicht-entzündeten Meningen variiert zwischen 5,5 bis 52 %.

Die Verteilung von Tigycyclin wird durch das Alter oder das Geschlecht der Patienten nicht wesentlich beeinflusst. In einer pharmakokinetischen Untersuchung an 46 Patienten beiderlei Geschlechts in den drei Altersklassen von 18 bis 50 Jahren, 65 bis 75 Jahren und Patienten über 75 Jahre konnten keine signifikanten und klinisch relevanten Unterschiede hinsichtlich des Verteilungsvolumens, des maximalen Blutspiegels und der Tigecyclin-Clearance festgestellt werden, die eine Dosisanpassung erfordern. Jüngere Patientinnen haben naturgemäß einen kleineren absoluten Verteilungsraum (Angabe in l) und somit ein höherer Maximalspiegel als die Männer im gleichen Alter. Diese Abweichung war signifikant, bei der Betrachtung des relativen Verteilungsvolumen (Angabe in l/kg Körpergewicht) ergaben sich dagegen keine Unterschiede.
Das hohe relative Verteilungsvolumen von 7 bis 9 l pro Kilogramm Körpergewicht deutet auf eine gute Diffusion, möglicherweise auch in andere bislang nicht untersuchte Organe hin.

Daneben reichert sich Tigecyclin intrazellular an, was seine gute Wirksamkeit gegenüber vielen „atypischen“ Erregern begründet. Penetration, Efflux und intrazelluläre Aktivität wurden in humanen Polymorhonuklearen Neutrophilen untersucht. Danach werden in vitro bereits nach einer Stunde hohe intrazelluläre Konzentrationen er-reicht, die das 30-fache der Serumkonzentrationen überschreiten. Der Efflux aus den Neutrophilen folgt einer Kinetik erster Ordnung mit einer Halbwertszeit von ca. 1,4 Stunden. Das Glycylcycline zeigte in diesen Untersuchungen eine gute bakteriostatische Wirksamkeit gegenüber intrazellulären Stämmen von Staphylococcus aureus.

Tigecyclin wird nur zu einem geringen Anteil (< 10 %) metabolisiert. Das gebildete N-Acetyl-Tigecyclin ist nicht aktiv. Die Exkretion erfolgt zu ca. 33 % unverändert renal. Annähernd 59 % werden bilär/fäkal eliminiert. Die Halbwertszeit von Tigecylin beträgt ca. 42 Stunden. Das pharmakokinetische Profil der Substanz wird durch Niereninsuffizienz oder Hämodialyse nicht signifikant beeinflusst.

Wirkspektrum

Tigecyclin besitzt ein besonders breites Wirkspektrum, das Gram-positive und Gram-negative Keime, alle Anaerobier sowie „atypische“ intrazelluläre Erreger um-fasst. Dies konnte in einer Reihe von Untersuchungen an klinischen Isolaten belegt werden, in denen die in vitro Aktivität von Tigecylin im Mikrodilutionsverfahren nach NCCLS im Vergleich zu anderen Substanzen untersucht wurde.
Der besondere Vorteil von Tigecyclin im Vergleich zu Tetracyclinen oder auch ande-ren Antibiotika-Gruppen liegt in seiner Wirksamkeit auf multiresistente Erreger wie Methicillin- und Glykopeptid-resistenten Staphylokokken, Penicillin-resistenten Pneumokokken oder Glykopeptid-resistente Enterokokken. Untersuchungen zur in vitro Aktivität von Tigecyclin gegenüber Staphylococcus epidermidis in einem Biofilm Modell nach Christensen zeiget sich überraschenderweise eine höhere Aktivität bei adhärenten Bakterienzellen mit Schleimproduktion (MBC 1-8 µg/ml) gegenüber freien Bakterien (MBC 0,12- > 32 µg/ml), was für die Behandlung von Katheter-assozierten Infektionen möglicherweise von Bedeutung ist.
Auch bei gramnegativen Erregern mit ESBL oder AmpC-Betalaktamasen ist eine ho-he Aktivität gegenüber Tigecyclin nachweisbar. Da diese Resistenzen vielfach auf Multidrug Resistenz-Plasmiden lokalisiert sind, ist die Empfindlichkeit gegenüber Tigecyclin klinisch relevant.
Tigecyclin ist nicht ausreichend wirksam gegenüber Pseudomonaden, Stenotropho-monas maltophilia, Burkholderia cepacia, Proteus- und Serratia-Arten, einigen Mykobakterien, Morganella morganii sowie Acinetobacter.
Tigecyclin zeigt einen bakteriostatischen und bei einigen Spezies auch einen bakteriziden Effekt. Es bindet an die bakterielle 30S Untereinheit innerhalb der helikalen Region (H34) der ribosomalen A-Domäne und blockiert somit den Ein-tritt der Aminoacyl-tRNS . Da die Aminosäurereste nicht in die wachsenden Peptid-kette inkorporiert werden können, wird die Proteinbiosynthese unterbrochen. Die Bindung an die Ribosomen ist bei Tigecyclin ca. 4-fach stärker als bei Minocyclin. Die Interaktion zwischen Tigecyclin und den Ribosomen ist reversibel, was den bakteriostatischen Effekt möglicherweise erklärt.
In gramnegativen Erregern wandert vermutlich ein positiv geladener Tigecyclin-Kationen-Komplex durch die Porin-Kanäle OmpF und OmpC der äußeren Membran, der nach Dissoziation zur inneren Zytoplasmamembran diffundiert und als Magnesium-Tigecyclin Chelat Komplex mit den Ribosomen interagiert.

Resistenzsituation

Obwohl eine Strukturverwandtschaft mit den Tetracyclinen besteht, traten die für Tetracycline bekannten Resistenzmechanismen, ribosomale Protektion und Efflux-Pumpen und die seltenere chemische Modifikation des Antibiotikums bislang weder in klinischen Isolaten noch in Labor-Isolaten auf. Eine Reihe verschiedener Resistenz-Determinaten ist für diese Tetracyclin-Resistenzen verantwortlich: tet (A) bis tet (E) werden in der Regel in Enterobakterien vorgefunden, tet(K) und tet(M) in Staphylococcus aureus und tet(M) und tet(O) in Streptococcus pneumoniae. Die tet(A) bis tet(E) und tet(K) Determinanten kodieren für Effluxpumpen, tet(M) und tet(O) für Mechanismen der ribosomalen Protektion. Erreger mit diesen Resistenzmechanismen sind unempfindlich gegenüber Tetracycli-nen, aber sensibel gegenüber Tigecyclin. Tetracyclin-empfindliche Erreger zeigen einen erhöhte Aktivität gegenüber dem Glycylcyclin.

Streptococcus pneumoniae

Die Resistenz von Streptococcus pneumoniae gegenüber Tetracyclinen beruhen nach bisheriger Kenntnislage ausschließlich auf ribosomaler Protektion. Sie wird durch die Gene tet(M) und tet(O) vermittelt. Der genaue Resistenzmechanismus ist unklar. Es wird vermutet, dass Tetracycline durch eine GTP-abhängigen Mechanis-mus von den Ribosomen entfernt werden. Tet (O) wurde in Isolaten aus Südafrika gefunden, es weist eine 75%-ige Homologie zu tet (M) auf. In Pneumokoken findet sich tet (M) auf den Transposons Tn1545 und Tn5251. Eine Tetracyclin Resistenz kann bei ca. 20 % der Isolate in Europa mit erheblichen lokalen Unterschieden nachgewiesen werden. Pneumokokken zeigen gegenüber Glycylcyclinen keinen Resistenzmechanismus dieser Art.

Escherichia coli

Die Aktivität von Tigecyclin wurde an Escherichia coli Stämmen mit den Efflux-Transporter Genen tet(B), tet(C) und tet(K) untersucht. Durch die Expression dieser Gene wurden die Stämme Tetracylin resistent, blieben aber sensibel gegenüber Tigecycylin. Die Expression der Multidrug-Transporter Gene AcrAB, AcrEF und bcr führte zu einem 4-fachen Anstieg der MHK von Tigecyclin.
Die Ursache für die hohe Aktivität von Tigecylclin bei Vorhandensein von Efflux-Pumpen ist nicht abschließend geklärt. Es wird angenommen, dass Tigecyclin keine Efflux-Pumpen induziert oder die Pumpen hinsichtlich eines Tigecyclin-Effluxes nicht oder nur unzureichend arbeiten.

Haemophilus influnzae

Die in vitro Aktivität von Tigecyclin gegenüber 185 klinischen Ampicillin-resistenten Haemophilus influenzae Isolaten aus Spanien im Zeitraum von Oktober 2001 bis Februar 2004 untersucht. Für die Testung wurde das Mikrodilutionsverfahren nach NCCLS angewandt. Bei 175 Isolaten konnte eine Betalaktamase-Produktion nachgewiesen werden. Die meisten Stämme waren unempfindlich gegenüber mehre-ren Antibiotika-Gruppen. Tigecyclin inhibierte ale Isolate bei Konzentrationen zwi-schen 0,06 bis 2 µg/ml. Die Grenzwerte der MIC lagen bei dieser Untersuchung etwa 1 Dilutionsstufe niedriger bzw höher als bei vergleichbaren Arbeiten.

Staphylokokken

Die Empfindlichkeit von Stapyhlokokken gegenüber Tigecyclin ist unabhängig von dem Vorhandensein einer Methicillin- oder Glykopeptid-Resistenz..
In einer Untersuchungsreihe an 25 klinischen Staphylokokken-Isolaten mit intermedi-ärerer Glykopetid-Sensibilität (GISS) und 22 Isolaten mit heterogener Empfindlichkeit (hGISS) konnte die in vitro Wirksamkeit von Tigecyclin belegt werden.

Pseudomonas aeruginosa, Morganella morganii, Proteus mirabilis, Klebsiella pneumoniae

Tigecyclin zeigt eine geringere intrinsische Aktivität gegenüber Pseudomonaden, Morganella morganii, Proteus-Stämmen und einigen wenigen Stämmen von Klebsiel-la pneumoniae [Ruzin]. Diese geringere Empfindlichkeit ist assoziiert mit dem Vor-kommen der Multidrug Efflux Transporter MexXY in Pseudomonas aeruginosa und AcrAB in Proteus mirabilis bzw. Klebsiella pneumoniae und vermutlich auf eine kon-stitutive Überexpression zurückzuführen. Dieses Multidug Efflux Sytem gehört zur Resistenz/Nodulation/Division Familie und ist oft Teil einer Multidrug Resistenz.

Nach den vorliegenden Untersuchung ist nicht mit einer sehr raschen Resistenzentwicklung gegenüber Tigecyclin zu rechnen.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Tigecyclin ist insgesamt sehr gut verträglich ist, es bestehen nur sehr wenige Kontraindikationen (Überempfindlichkeit, Gravidität, Laktation, Pädiatrie) bzw. Warnhinweise. Häufigste Nebenwirkungen sind gastrointestinale Störungen wie Bauchschmerz , Diarrhoe, Übelkeit und meist milde bis moderat verlaufende Formen von Erbrechen in-nerhalb der ersten beiden Therapietage. Daneben können in selteneren Fällen Kopf-schmerzen, Thrombozythemie, Fieber und ein Anstieg der Leberfunktionswerte auftreten.
Eine antianabole Wirkung, wie bei den Tetracyclinen beschrieben, ist denkbar. Tetracycline und vermutlich auch Glycylcycline hemmen den Einbau von Aminosäu-ren in Proteine. Die Aminosäuren werden umgewandelt in Harnstoff, der bei nieren-gesunden Patienten mit dem den Urin ausgeschieden wird. Bei Patienten mit eingeschränkter Funktionsleistung der Niere akkumuliert der Harnstoff, so dass erhöhte Harnstoffwerte auftreten können.